„Hiermit erkläre ich den Klassenrat für eröffnet“, erklärt die 12-jährige Hanna ruhig und auch mit ein wenig Stolz in der Stimme. Diesmal ist sie die Präsidentin, sie moderiert die Diskussion, leitet die Abstimmungen und achtet auf Einhaltung der Tagesordnung. Die Übernahme dieser Aufgabe wechselt, wie auch die des Protokollierens der Versammlungsbeschlüsse, unter den Schülerinnen und Schülern von Sitzung zu Sitzung. Jedes Kind wird mindestens einmal im Lauf des Schuljahres eines dieser verantwortlichen Ämter übernehmen.
Zu Beginn der Sitzung verständigen sich die Schülerinnen und Schüler über die zu besprechenden Themen. Eine große Hilfe sind hierbei die Wandplakate (alternativ: Klassenratsbuch oder Frage- und Kritikkasten u.ä.), die verschiedene Rubriken vorgeben; in Hannas Klasse lauten diese: „Was mir gefallen hat...“, „Was mir nicht gefallen hat...“, „Worüber ich reden möchte...“, „Was ich vorschlage...“ Mögliche Themen wurden so die ganze Woche über gesammelt.
Die Klassenratspräsidentin liest die Einträge und die immer mit notierten Verfassernamen vor und beginnt die Erstellung einer Tagesordnung mit der Frage, ob jemand ein besonders wichtiges Thema entdeckt habe. Wolfgang meldet sich: „Ich finde, wir sollten als erstes über den Geburtstagskalender sprechen.“ Uli widerspricht: „Ich finde das Thema `Hausaufgaben` wichtiger. Da gibt es ganz viele Einträge.“ Es folgt Rede und vielleicht auch Gegenrede, die erste Abstimmung und schon ist der gesamte Klassenrat hoch konzentriert bei der Arbeit...
Der Klassenlehrer sitzt mit im Stuhlkreis. Er berät auf Wunsch der Schülerinnen und Schüler den Klassenrat, weist manchmal auf andere Handlungsmöglichkeiten hin oder bittet um die Beachtung der gemeinsam erarbeiteten Gesprächsregeln. Zudem verfügt er wie die Schulleitung über ein Vetorecht - wovon er allerdings noch nie Gebrauch machen musste...
Der „Klassenrat“ oder die „Versammlung“ ist eine aus der Freinet-Pädagogik stammende Methode. Mit ihr können Selbstorganisation, Mitbestimmung und Verantwortungsübernahme durch Schülerinnen und Schüler realisiert, Probleme und Konflikte auf demokratische Weise bearbeitet werden. Außerdem bietet der Klassenrat ein für die gesamte SMV einer Schule wichtiges Forum. Hier können Beschlüsse des Schülerrats erörtert, Vorschläge für die Schulversammlung oder den Schülerrat erarbeitet werden. Damit ist diese Methode eine hervorragende Möglichkeit, den Informationsfluss innerhalb der SMV zu verbessern und die Transparenz im Schulleben zu erhöhen. Schülerinnen und Schüler, die die Methode „Klassenrat“ praktizieren, erfahren sich als wichtigen Teil der SMV - Mitmachen ist für sie meist keine Frage!
Wer Verantwortung an Schülerinnen und Schüler übergibt, unterstellt Verantwortungsbewusstsein und das Vorhandensein von sozialen Kompetenzen und kommunikativen Fähigkeiten... So richtig und wichtig das Vertrauen in die bereits vorhandenen Kompetenzen der Kinder ist, so falsch wäre es aber auch, sie bei der Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten nicht zu unterstützen und sie zu überfordern. Die geduldige und wohlwollende Begleitung durch die Lehrpersonen (besonders bei der Einübung der Methode und der Erarbeitung der Gesprächsregeln) und das Vorhandensein von weiteren Trainingsmöglichkeiten der sozialen, methodischen und kommunikativen Kompetenzen sind wichtige unterstützende Faktoren. Ist das gegeben, wird es heißen: Klassenrat- ohne Gegenstimme angenommen!
Quelle: Peter Rauls in SMV-Aktuell
Literaturangaben:
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Hanna Kiper, Selbst- und Mitbestimmung in der Schule - das Beispiel Klassenrat. Hohengehren 1997.
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Hans Josef Tymister, Schüler beteiligen. In: Friedrich Jahresheft 2002 „Disziplin“, S. 102.
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Herbert Hagstedt, Die „Versammlung“ in der Freinet-Pädagogik. In: Ebd., S.103.